Keine Zeit zum Führen
Wir sprechen im Seminare gerade über Führungsaufgaben und was eine Führungskraft tun kann, um Ihre Mitarbeiter weiterzuentwickeln. Und dann kam er wieder, der Satz, den ich in vielen Führungskräftetrainings höre - egal welche Führungsebene gerade vor mir sitzt: „Ich weiß, ich müsste mir dafür mehr Zeit nehmen, aber ich habe sie nicht.“ Und in der Tat ist es für jedes Unternehmen wichtig, diesen Satz ernst zu nehmen und zu schauen, ob hier in der Aufgabengestaltung der Führungskräfte und in der Organisationsstruktur Hindernisse sind, die die Führungskräfte dazu zwingen, ihre Führungsaufgaben zu vernachlässigen. So können zum Beispiel saisonale Kapazitätsengpässe oder ein hohes Wachstum des Unternehmens dazu führen, dass Führungskräfte selbst mit anpacken müssen. Hier ist es wichtig nach langfristigen Lösungen in der Struktur zu suchen und gemeinsam im Führungsteam eine Lösung zu finden. Aber es kann auch sein, dass die Führungskraft selbst ein Teil der Ursache ist, wenn sie nicht dazu kommt ihre Mitarbeiter zu führen. Deshalb stellt sich die Frage:
Was kann die Führungskraft selbst beeinflussen?
Viele Führungskräfte sind auch in das operative Geschehen mit eingebunden. Das können Sie nicht ändern. Was sie aber ändern können, ist die Aufgabenverteilung innerhalb ihrer Abteilung. Oft erlebe ich im Gespräch mit meinen Coachingnehmer, dass die Führungskräfte sagen: „Ich habe keine Zeit, es ist gerade so viel los und ich muss mitarbeiten.“ Wenn wir genauer hinschauen, dann sind die Ursachen vielfältiger:
- Die Dringlichkeit ist so groß geworden, dass sie selbst mitarbeiten müssen, um Fristen einzuhalten. Das ist prinzipiell auch nicht schlimm und im Gegenteil ist es sogar hilfreich für den Teamgeist, wenn die Führungskraft selbst mit anpackt Dann kann die Führungskraft ihrer Vorbildfunktion gerecht werden und durch die Mitarbeit erhält sie gleichzeitig sehr gute Informationen, wie die Prozesse im eigenen Bereich gerade strukturiert sind. Daraus kann sie in ruhigeren Zeiten ableiten, was sollten wir verstärken, was weglassen und was sollten wir anders machen. Problematisch wird es, wenn die Kultur im Team davon geprägt ist, dass so etwas nicht passieren darf und die Mitarbeiter mit negativen Konsequenzen rechnen muss, wenn er zur Führungskraft geht und einen Verzug meldet. Denn dann trauen sich Mitarbeiter immer weniger, Probleme anzusprechen. Die Probleme werden vertuscht oder intern geregelt und eine Besserung der Verhältnisse kann nicht entstehen, im schlimmsten Fall kann die Führungskraft nicht rechtzeitig einschreien und Probleme häufen sich. Hier kann die Führungskraft durch Vertrauensaufbau und durch kritisches Hinterfragen des eigenen Verhaltens gegensteuern. So schafft sie eine Kommunikationskultur, die ein frühzeitiges Einschreiten ermöglicht.
- Wenn eine Führungskraft ihren Führungsaufgaben nachgeht, dann sieht man häufig nicht das konkrete Ergebnis und man selbst und andere haben das Gefühl, man hat nichts gearbeitet. Die Führungsaufgaben haben meist nur einen indirekten Einfluss auf das operative Handeln und man kann die Leistung nur schwer dem konkreten Handeln zuschreiben. Da Führungskräfte es aber überwiegend gewohnt sind auf Fragen zu antworten, was ist das konkrete Ergebnis, wird die Arbeit als Führungskraft oft nicht als solche erkannt und anerkannt. Um Ergebnisse vorzuweisen, gehen dann in der Priorisierung der Tagesaufgaben Führungsaufgaben schneller unter. Hier gilt es auch mal Mut zu haben, dass Führungskräfte kurzfristig wenig konkrete Ergebnisse vorweisen, dafür mittel- und langfristig die Qualität steigert und die Zufriedenheit im Team sich verbessert. Oft sind hier Unternehmenskultur und die nächst höhere Führungsebene gefragt, auch mehr Anerkennung für die Themen Mitarbeiterentwicklung und Führung zu geben.
- Die Betriebsblindheit hat sich eingeschlichen: Es gibt Aufgaben, die die Mitarbeiter durchaus innerhalb ihres Aufgabengebietes durchführen können. Doch die Führungskräfte geben die Aufgaben nicht ab, weil sie es gewohnt sind, die Aufgabe selbst zu machen und gar nicht darüber nachdenken, dass ein anderer dies auch machen könnte.
- Die Führungskraft macht sie selbst, weil bisher noch keiner die Aufgabe genauso erfüllt hat, wie es sein sollte. „Wenn ich mich nicht selbst darum kümmere, dann geht das schief und das können wir uns nicht leisten.“ ist oft das Argument der Führungskräfte. Das ist leicht nachzuvollziehen, denn gute Qualität und ein erfolgreiches Ergebnis für das Unternehmen ist ein erstrebenswertes Ziel für Führungskräfte. Um das zu erreichen, braucht es auch die Zeit für die Mitarbeiter, dass sie sich in ein neues Aufgabengebiet einarbeiten können. Es ist dann für die Führungskraft mit einem erheblichen Mehraufwand verbunden, dass sie hierbei den Mitarbeiter am Anfang sehr eng begleiten und dann Stück für Stück loslassen. Dadurch wird der Mitarbeiter immer selbständiger und kann dann auch die Aufgaben nach den Vorgaben der Führungskraft erfüllen. Auch dazu braucht es Zeit und Mut andere Dinge erst mal nicht zu priorisieren. Investiert die Führungskraft nicht die Zeit, dann entsteht irgendwann ein Teufelskreis, denn die Führungskraft muss sich um immer mehr operative Aufgaben kümmern, die Mitarbeiter bekommen immer weniger interessante Aufgaben, die Unzufriedenheit steigt, Mitarbeiter verlassen das Unternehmen und es sind neue Mitarbeiter da, für die keine Zeit zur Einarbeitung ist,… Diesen Teufelskreis kann die Führungskraft nur dann aufheben, wenn sie selbst beginnt ihre Mitarbeiter weiter zu entwickeln.
- Die Führungskraft scheut ein kritisches Gesprächsthema anzusprechen. Das Thema ist etwas heikel. Erst neulich hatte im Coaching ein Unternehmer mir gesagt: „Ich kann doch nicht als Mann meiner Mitarbeiterin sagen, dass sie sich schlecht kleidet und das im Umgang mit Kunden nicht akzeptabel ist.“ Stimmt genauso, würde ich das auch als Frau nicht sagen, aber nachdem wir das Gespräch geübt haben und der Unternehmer das Gespräch anging, konnte die Mitarbeiterin die Kritik gut annehmen und hat ihr Verhalten geändert.
Oft merken Führungskräfte nicht, dass sie selbst auch etwas an der Situation etwas ändern können. Es ist von außen auch immer leichter, einen guten Ratschlag zu geben, aber wenn man in der Situation selbst ist, dann braucht man Mut neue Wege zu gehen. Die Reaktionen von Mitarbeitern und den eigenen Vorgesetzten sind oft nicht vorhersehbar: Wie wird das neue Verhalten akzeptiert. Was passiert, wenn wir nicht fristgerecht fertig werden? Diese Befürchtungen blockieren oft, das notwendige Verhalten.
Oft reicht es schon, wenn sich die Führungskraft – alleine oder mit dem Team zusammen – Zeit nimmt und ein attraktives Zukunftsbild für den eigenen Bereich aufbaut oder weiterentwickelt. Das gibt für alle eine hohe intrinsische Motivation, die anstehenden Aufgaben umzusetzen. Alle können proaktiv auf das Umfeld agieren und damit ihre Handlungsspielräume erweitern. Das macht Zuversicht, weil das Team sieht, es kann selbst mitgestalten, es entwickelt sich kontinuierlich weiter und es gibt eine gewisse Vorhersehbarkeit, was auf alle zukommt. Zuletzt bekommt ihr Tun (wieder) einen Sinn und auch das führt zur Zuversicht (das Kohärenz-Gefühl steigt).
Durch die Gespräche mit den Mitarbeitern bekommt die Führungskraft die Möglichkeit viel genauer die Potentiale ihrer Mitarbeiter einzuschätzen und diese zu fördern und einzufordern. Gleichzeitig kann der Mitarbeiter sein Können und seine Ziele für seine persönliche Weiterentwicklung klarer an die Führungskraft kommunizieren. Beide können gemeinsam nach Lösungen und Wegen suchen, wie diese in das Alltagsgeschehen besser einbinden können. Ein Prozess entsteht in dem gegenseitiges Vertrauen wächst.
Wenn die Führungskraft ihren Führungsaufgaben nachgeht und weniger sich in operative Arbeiten verstrickt, dann hat sie einen besseren Überblick, was inhaltlich und menschlich in ihrem Verantwortungsbereich gerade wichtig und dringend ist. Sie kann ihre Prioritäten konkreter bestimmen und damit auch mit weniger oder dem gleichen Zeitaufwand mehr erreichen. Leider stellt sich der Erfolg nur langsam ein, weil nun die Entwicklung der einzelnen Mitarbeiter, des Teams und des Verantwortungsbereiches im Vordergrund steht. Und das sind Dinge, die Zeit brauchen und sich langsam in den Alltag einschleichen. Oft merken weder das Team noch die Führungskraft unmittelbar, welche Fortschritte sie gemacht haben. Dies kann man oft erst durch einen Rückblick erkennen und durch die bewusste Wahrnehmung der Reaktionen und Feedbacks durch Mitarbeiter, Vorgesetzten und Kunden. Und das darf dann gefeiert werden, denn Führungskraft und das Team haben einen gemeinsamen Weg eingeschlagen, der sie erfolgreicher gemacht haben.