Führungskraft als Sinnstifter: Teil 4) Sinnkrisen, andere Gefahren und wie man sie meistert

Welche Bedeutung haben Führungskräfte als Sinnstifter in Unternehmen? Teil 4  und damit der letzte Teil meiner Artikelserie befasst sich mit der Frage: „Was wäre wenn es keine Sinnstiftung gäbe?“ und beleuchtet Sinnkrisen und andere Gefahren, denen sich Unternehmen und Führungskräfte gleichermaßen bei verlorener Sinnhaftigkeit stellen. Wie müssen Unternehmen darauf vorbereitet sein und wie sollten sie handeln, um Sinnkrisen zu meistern?

Was wäre, wenn im Tun kein Sinn gesehen würde? 

Fehlt es an Sinn, dann hat das Folgen: Arbeit wird immer mehr zur Pflichterfüllung, eigenes Mitdenken nimmt ab, die Leidenschaft für das Produkt/die Dienstleistung geht verloren, Gleichgültigkeit, Langeweile, innere Unzufriedenheit, Gereiztheit, Sarkasmus und/oder Zynismus, lustlose Erledigung von Aufgaben oder auch schleichendes Unwohlsein und fehlende Motivation kehren in den Berufsalltag ein (siehe auch: Christine Ait-Mokhtar: Führungskräfte müssen Sinnstifter sein, Human Resources Manager 14.11.2013). 
 
Aber Achtung: Nicht immer ist die Unzufriedenheit und die innere Kündigung auf fehlenden Sinn zurückzuführen. Es gibt Einflussfaktoren, die sich bemerkbar machen und denen es nachzugehen gilt.
Ich habe im Coaching oft Führungskräfte erlebt die sagen „Ich mache hier etwas wirklich Wichtiges und ich würde das gerne weitermachen, aber...“
  • •... mein Chef lässt mich nicht
  • •... das Betriebsklima ist unerträglich
  • •... die Strukturen sind so starr, dass ich nicht zu den wirklich wichtigen Dingen komme
  • •... wir haben zu wenig Personal, so dass ich meine Arbeit nicht zu Ende bringen kann. 
 
Hier ist die Geschäftsführung in der Verantwortung sich selbstkritisch zu hinterfragen: Was können wir verbessern? 

Gibt es Gefahren, wenn die Führungskraft sinnstiftend agiert? 

 
Engagierte, sinnstiftende Führungskräfte können bei Mitarbeitern auch Krisen auslösen, die so nicht beabsichtigt sind.
 
Folgende Szenarien sind denkbar:
 
Krise 1: Eigenverantwortung für die Sinngebung geht verloren
Als Mitarbeiter übernehme ich, was mir die Führungskraft vorgibt ohne darüber nachzudenken, was ich selbst brauche, um Sinn in meinem Tun zu sehen. 
Da Sinngebung aber für jeden individuell ist braucht es eine sehr individuelle Betrachtung der Werte und Erwartungen eines jeden Mitarbeiters, um bei allen im Unternehmen Sinn zu stiften. 
 
 
Krise 2: Wenn vorgegebene Sinnstiftung einengt und „gleichmacht“
Wird Sinnstiftung stark reglementiert und vorgegeben - abgesehen davon, ob das qualitativ und quantitativ leistbar ist -  so erhöht sich die Wahrscheinlichkeit sehr, dass im Unternehmen fast nur noch gleichgesinnte Mitarbeiter agieren. Damit wird es zunehmend schwieriger andere Meinungen und andere Werte in das Unternehmen zu integrieren. Folge: Es wird schwieriger neue Mitarbeiter auszuwählen, neue Gedanken und Denkweisen zu etablieren und damit auch Innovationen zu schaffen, die sich an veränderte Marktbedingungen anpassen. Im Negativfall erwächst dabei im Unternehmen eine destruktive Kultur  der Handlungseinschränkungen. 
 
Krise 3: Sinnstiftung ohne Pflege von Struktur und Unternehmenskultur
Zu starke Betonung der Sinngebung lässt das Management die Bedeutung von (organisatorischen) Rahmenbedingungen aus den Augen verlieren. Die passende Struktur und Unternehmenskultur wird nicht gepflegt und an die Marktgegebenheit angepasst. Als Folge dessen, verliert das Management genau diese immer schneller und häufiger aus den Augen. Zugleich wiegen sich Belegschaft und Führungskräfte in der vermeintlichen Sicherheit, sie hätten eine gemeinsame Unternehmensvision und wüssten genau wofür sie etwas tun.
Doch auch Sinn, Vision und Werte ändern sich heute schneller, da die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklungen rasanter voranschreiten. Hier muss das Management immer einen Blick haben für das was um das Unternehmen herum passiert damit es agieren und nicht nur reagieren kann. 
 
Krise 4: Sinnkrisen im Unternehmen
Das Unternehmen, die Führungskraft oder auch einzelne Mitarbeiter können in eine Sinnkrise fallen, weil sich etwas an den äußeren Rahmenbedingungen verändert hat oder die Werte sich in ihrer Priorität verschoben oder sogar ganz verändert haben. 
 

Das ganz Unternehmen steckt in einer Sinnkrise:

Jetzt ist es oberstes Gebot der Unternehmensleitung schnell zu analysieren, was sich verändert hat, was zur Krise geführt hat und vor welchen neuen Gegebenheiten das Unternehmen steht.
Was könnte an Stelle des bisherigen treten? 
 

Beispiel: 

Zugegeben, die Sinnkrise der Stromanbieter wurde von außen angestoßen. Nach dem Tsunami in Japan wurde in Deutschland der Ausstieg aus der Atomenergie besiegelt. Dies forderte Energieversorger, die ihre Stromerzeugung auf Atomkraftwerke ausgerichtet hatten, dazu auf, neue Optionen in der Energiegewinnung zu entwickeln. Welche Art der Stromerzeugung ist nun die sinnvollste? Braunkohle? Windkraft? Solarenergie? Wasserkraft?...? Was macht für uns Sinn? Welche neuen Wege wollen wir beschreiten? 
 
Eine neue Vision und eine neue Sinngebung muss gefunden und an die Mitarbeiter kommuniziert werden. Das kann bei einzelnen Mitarbeitern im schlimmsten Fall sogar dazu führen dass sie das Unternehmen verlassen oder in die innere Kündigung gehen, weil sie selbst sich mit dem neuen nicht mehr identifizieren können. 
 

Die Führungskraft selbst steckt in einer Sinnkrise: 

Beispiel:

 
Häufig erlebe ich Führungskräfte in meinen Coachings, die sich erstmals mit dem Sinn ihres Tuns auseinandersetzen: „Was mache ich da eigentlich? Ich arbeite stundenlang, habe kaum Zeit für Freunde und Familie und was bleibt am Ende übrig?“ Oder sie beschäftigen sich mit der Frage: „Will ich wirklich immer nur Entscheidungen treffen, die wirtschaftlich sinnvoll sind, menschlich aber überhaupt keinen Sinn ergeben? Was ist mir denn wichtig?“
Hier hilft es, wenn die Führungskraft sich Unterstützung holt. Am besten von außen so dass sie mit einer neutralen Instanz ihre Sinnkrise reflektieren kann und neue Wege findet hin zu einer neuen Sinnhaftigkeit - entweder innerhalb der derzeitigen Position oder im Rahmen einer neuen Aufgabe.
 

Der Mitarbeiter steckt in einer Sinnkrise: 

Beispiel: 

 
In einem meiner Führungskräfte-Coachings befasste ich mich mit folgender Situation: Eine Führungskraft aus dem industriellen Bereich schilderte mir die Probleme mit einem Mitarbeiter. Der war früher sehr engagiert, tat jetzt allerdings nur noch Dienst nach Vorschrift. Er brachte keine neuen Ideen ein und schien Projekte geradezu in die Länge zu ziehen. Ich riet der Führungskraft zum Gespräch. In diesem Mitarbeitergespräch stellte sich heraus, dass der Mitarbeiter begonnen hatte sich ehrenamtlich in einer Umweltorganisation zu engagieren, die dem industriellen Arbeitgeber des Mitarbeiters stark kritisch gegenüber stand.
So verschob sich die Sinnhaftigkeit für den Mitarbeiter – er konnte einfach nicht mehr hinter dem stehen, was das Unternehmen machte. Dies herauszuarbeiten war ein langer Weg für Führungskraft und Mitarbeiter – es forderte viele Gespräche und eine von Vertrauen geprägte Kommunikationsebene zwischen Führungskraft und Mitarbeiter. Am Ende haben beide einen für sie fairen Weg gefunden, diese Situation zu lösen und der Mitarbeiter fand den Weg in ein neues Unternehmen  - unterstützt von der Führungskraft – hinter dessen Zielen er für sich wieder einen Sinn sah.
 
Die Führungskraft sollte hier offen und vorurteilsfrei auf den Mitarbeiter zugehen und das direkte Gespräch suchen. Dabei ist es wichtig, dass die Führungskraft genau das Problem des Mitarbeiters erfasst, um dann eine gute Lösung für beide Seiten zu finden (Coaching für den Mitarbeiter, neue Aufgabe, Weiterentwicklung in eine neue Position, Sabbatical etc.) 
 

Burnout-Gefahr bei den Mitarbeitern des Unternehmens: 

 
Weil die Arbeit so viel Spaß macht und alle dafür brennen, besteht verstärkt die Gefahr des Ausbrennens. Mitarbeiter möchten unbedingt ihren Beitrag leisten auch wenn das Arbeitsvolumen zu hoch ist. Vor lauter Überlastung - egal ob durch den Vorgesetzten oder durch den Mitarbeiter selbst initiiert - erkennt der Mitarbeiter selbst und/oder die Führungskraft die Leistungsgrenzen des Mitarbeiters nicht. Dieser wird krank aufgrund der hohen Arbeitsbelastung oder ist ständig erschöpft. Daher ist es wichtig, dass Führungskräfte ein besonderes Augenmerk auf ihre Mitarbeiter haben und auch mal die Stopptaste drücken und für Pausen und Erholung sorgen. Der Mitarbeiter wiederum sollte mit sich selbst achtsam umgehen und für sich selbst sorgen lernen. Das Unternehmen kann seine Führungskräfte und Mitarbeiter in Seminaren und Workshops dafür sensibilisieren und ihnen Unterstützung anbieten, wie sie Überlastung bei den Mitarbeitern ansprechen können.
 

Fazit:

 
Neben den Anzeichen für eine Sinnkrise ist es wichtig darauf zu achten, welche Werte und Moralvorstellungen das Handeln lenken. Werden diese nicht in die Sinngebung  mit einbezogen, besteht die Gefahr dass einzelne Mitarbeiter, Abteilungen oder das ganze Unternehmen nach dem Prinzip handeln: Der Zweck heiligt die Mittel. Es würde der Sinn des Tuns über das Ergebnis definiert.
Das öffnet unfairen und kurzfristigen Erfolgen die Tür, passt aber nicht zu der eigentlichen inneren Haltung der Sinngebung und der Nachhaltigkeit der Ergebnisse. 
Wachsam und achtsam sein und regelmäßig Erreichtes hinterfragen und im Gespräch bleiben. Wenn dies im Unternehmen gelebt wird und von Führungskräften und Mitarbeitern gleichsam akzeptiert, so bleibt Sinnstiftung im Unternehmen ein für alle wichtiger Prozess, der den Unternehmenserfolg positiv steuern und beeinflussen kann.
Haben Sie Anregungen oder Fragen zum Nutzen von Sinnstiftung aus Ihrer jeweiligen Perspektive?
 
Ich freue mich auf Ihre Kommentare hier im Blog oder auch bei Facebook.
 
Ihre Claudia Weiler
 
Letzte Änderung am Sonntag, 15 November 2020 15:37
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