Gute Fragen in Mitarbeitergesprächen
Wer fragt, der führt. Dieses geflügelte Wort wird besonders in Führungsseminaren gerne benutzt. Doch was sind gute Fragen? Oder reicht es aus, dass wir überhaupt fragen? Welche Fragen helfen uns als Führungskraft und welche nicht?
Praxisbeispiele aus meinen Führungskräfte-Trainings liefern Antworten.
In meinen Seminaren und Workshops antworten die Teilnehmer meist schnell und spontan: „Offene Fragen sind gute Fragen". Doch nur weil ich eine geschlossene Frage in eine offene umformuliere, heißt das noch lange nicht, dass ich die richtige Frage gestellt habe. Also was macht eine gute Frage dann aus?
Definition des „guten" Fragens
Gute Fragen sind solche, die anspruchsvoll, aber praktisch verwertbar sind. So definiert es Warren Berger (Die Kunst des klugen Fragens, 2014).
Dabei zählt allerdings für mich nicht nur ob die Frage der Sache dient, sondern insbesondere: Was findet auf der zwischenmenschlichen Ebene zwischen Fragesteller und Gefragtem statt – also zwischen der Führungskraft und ihrem Mitarbeiter:
- Was beschäftigt den Mitarbeiter gerade emotional?
- Was ist dem Mitarbeiter besonders wichtig?
- Was sind die Hauptmotive des Mitarbeiters?
Entscheidend ist, dass ich mich als Führungskraft für den Mitarbeiter als Menschen interessiere und versuche, mich in ihn hineinzuversetzen:
- Wie reagiert der Mitarbeiter auf das, was ich frage und sage?
- Was bewegt ihn?
- Was mag er/mag er nicht?
- Was motiviert ihn und was stresst ihn?
Häufiger Fehler von Führungskräften bei der Vorbereitung auf ein Gespräch ist, dass diese Fragen real im Arbeitsalltag meist nicht gestellt werden. So bleibt viel Spielraum für Interpretationen. Manches wird durch die Führungskraft bereits für wahr gehalten, obwohl es doch nur ihrer Wahrnehmung entspricht. Was fehlt ist die Überprüfung, ob diese Thesen über den Mitarbeiter auch tatsächlich zutreffen.
Praxisbeispiel: Verhängnisvoll – vermuten anstatt zu fragen
Eine Führungskraft kam mit einem „Problem" bezüglich einer Mitarbeiterin zu mir. Erst vor einem halben Jahr hatte die Führungskraft ihre Mitarbeiterin befördert. Anfangs lief auch alles plangemäß. Die Mitarbeiterin engagierte sich und brachte neue Ideen ein. Schnell erweiterte die Führungskraft das Themen- und Aufgabengebiet der Mitarbeiterin, da sie annahm, die Mitarbeiterin hätte Spaß an Projekten, würde gerne Teams reorganisieren und aufbauen.
Doch „auf einmal" wurde die sehr gute Mitarbeiterin zu einem ‚Problem':
Sie begann Freizeit einzufordern, machte ständig darauf aufmerksam, dass sie ja noch ein Stammteam hätte und das weiterbringen wolle. Das Stammteam der Mitarbeiterin war aber aus Sicht der Führungskraft inzwischen gut aufgestellt und brachte gute Ergebnisse. Also ging die Führungskraft davon aus, dass die Mitarbeiterin keine Prioritäten setzen könne und eine Schulung für Zeitmanagement und Stressbewältigung benötige – bevor diese geschätzte Mitarbeiterin noch ins Burnout abrutschen würde.
Aber auch das teure Seminar brachte keine Besserung. Dann kam der Führungskraft zu Ohren, dass die Mitarbeiterin einen neuen Partner hatte. Also vermutete die Führungskraft, die Mitarbeiterin würde aufgrund ihrer privaten Situation mehr Freiräume benötigen. Sie gab der Mitarbeiterin ein paar Tage Sonderurlaub, um sie zu motivieren, danach engagiert an ihre Aufgaben zu gehen. Doch auch hiernach passierte nichts.
Meta-Ebene: Perspektiven wechseln und Fragen „richtig" stellen
An diesem Punkt kam die Führungskraft zu mir. Wir betrachteten die Situation nochmals detailliert. Ich wollte von der Führungskraft wissen, ob sie ihre Mitarbeiterin schon mal konkret gefragt hätte, wie diese die Situation einschätzt und was sie wirklich möchte. Die Führungskraft antwortete: „Nein, das ist doch klar, was Sie möchte. Sie will ihre Work-Life-Balance in den Griff bekommen, das kann gar nicht anders sein!"
Auf meine Anschlussfrage, was denn die Mitarbeiterin unter Work-Life-Balance verstehen würde, wurde es ganz still in meinem Coaching-Raum. Die Führungskraft konnte keine Antwort daraufhin geben. Ich fragte sie konkret, wer denn die Antwort geben könne.
Da wurde deutlich: Die Führungskraft hatte sehr viele Vermutungen angestellt, was die Mitarbeiterin gerade braucht. Sie hatte viel Zeit und auch Geld investiert ohne vorher die richtigen Fragen an die richtige Person – die Mitarbeiterin - zu stellen.
Gute Fragen: Lösungen finden und die richtigen Prozesse einleiten
Nach dem Training setzte sich die Führungskraft mit der Mitarbeiterin zusammen und signalisierte ihr, dass sie aufhören würde Lösungen für sie zu finden, die diese nicht brauche.
Die Führungskraft begann die „richtigen Fragen richtig" zu stellen.
So erfuhr sie, dass die Mitarbeiterin durchaus bereit war, viel und intensiv zu arbeiten, aber in ihrem Kernbereich und mit ihrem Stammteam. Aus der Sicht der Mitarbeiterin lief es da in der Zwischenzeit sehr gut, aber sie hätte noch viele Ideen, für deren gemeinsame Umsetzung im Team sie sich mehr Zeit wünschte. Die Mitarbeiterin machte deutlich, dies sei auch ihr Stammgebiet, wo sie sich fachlich sicher fühlen und sich dort weiterentwickeln möchte.
Jetzt konnte die Führungskraft gemeinsam mit der Mitarbeiterin eine Lösung für die entscheidende Fragestellung entwickeln:
Wie muss das Aufgabengebiet der Mitarbeiterin gestaltet sein, so dass diese ihre Ideen verwirklichen und dennoch für das Unternehmen wichtige Projekte vorantreiben kann?
Die Leistungen der Mitarbeiterin wuchsen kontinuierlich und sie begann sich immer mehr auch für andere Abteilungen und Themen zu interessieren und diese forciert anzugehen.
Ergebnisse verbessern: Kommunikation als Beziehungsarbeit verstehen und nutzen
Die Lösung fand sich nicht in einem einzigen Gespräch, sondern in einem gemeinsamen Prozess, der längere Zeit in Anspruch nahm. Die richtigen Fragestellungen bewirkten bei der Mitarbeiterin, dass sie sich zunächst eigene Fragen stellen und Antworten finden musste:
- Was genau will ich?
- Was ist mir wichtig?
- Was motiviert mich?
Die investierte Zeit hat sich für beide gelohnt: Kontinuierlich verbesserten sich die Ergebnisse, Führungskraft und Mitarbeiterin empfanden ihre Beziehung deutlich angenehmer und waren mit ihrer Arbeitssituation zunehmend zufriedener. Ein Ergebnis mit Gewinn dank guter Fragestellung und klarer Kommunikation.